Rudolf der Ewerführer

De Ewerfohrer von de Schuut, denn sien Olle hett all wedder een dicken Buuk.

Das Staken mit dem Bootsmannshaken aus Holz, welche 3m bis 4m lang und 5cm dick waren. Am Ende ein aus Eisen geschmiedete krumme Spitze mit Haken zum Abstoßen und Ranholen. Allein mit Muskelkraft musste das 20m lange Boot bugsiert werden. Eine Fortbewegung per Körperkraft an den Kaiwänden entlang. Die Kais sind heute noch an den Wänden befinden sich Stählen, Haken und Ösen, die genutzt werden von Ewerführer. Entlang der Duckdalben und mit der Strömung konnten sie Schuten über das Elbfahrwasser in die entfernten Hafenbecken getreiben werden. Die Fleete, künstlich geschaffene Wasserstraßen, quer durch die Stadt und durch den Hafen.
Die Arbeit des Ewerführers, welche von Holland bis Dänemark als Lehrberuf etabliert wurde. Sie stachen mit dem Staken auf den Grund der Wasserstraßen und schoben die beladenen Schuten an Ihre Ziele. Der Ewerführer blieb der Witterung ausgesetzt freihändig und allein, bei Tag und Nacht um das Ziel zu erreichen. Auf der 50 cm breiten Gangbord ging es einmal rund um das Schiff. Vorne und Hinten war etwas mehr Platz zum Ablegen von Tauwerk.
Der Ewerführer war nur Tagelöhner und darum gut beraten, seinen Lohn immer gleich einzufordern. Denn wenn der Auftraggeber weiter reiste, verschwand das Schiff wie auch der Lohn.
Nach der Arbeit zuhause angekommen war man müde. Die Arbeitsklamotten waren nass und dreckig aber es gab keine Dusche. Der Ewerführer hatte gekämpft und sich verausgabt, forderte nun sein Essen und sein Trinken von seiner Frau. Er brachte das Geld für das Leben der Familie. Wenn „der Olle" - der Alte - nach Hause kam, sagten die Kinder oft: „Das Gewitter kommt!“  
Kurz vor dem Verlassen des Hauses, sagte der Herr des Hauses an der Tür: „Olle du bist wedder fast? Dann seh man too, dat du dat wedder weg kriegst und Tschüss, ick mut na Arbeit!“ - Weib bist Du wieder schwanger? - Seh zu das du es wieder weg bekommst. Ich muss zur Arbeit!
Die großen Deerns bekamen es mit, denn Mutter saß wie das heulende Elend in der Küche, denn auch sie konnte nicht alles runter schlucken. Was gemacht werden musste, wurde gemacht und es ging zur Engelmacherin.
Der kleine Walter war aufgeweckt und gut in der Schule, er sollte eines Tages auf eine höhere Schule. Als die Zeit gekommen war meldete sich einfach auf den Fährschiffen im Hafen an und wurde Decksmann. Die See hatte einen weiteren Seemann für sich gewonnen. Dieses mal nicht auf Seglern sondern er fuhr auf den ersten Dampfschiffen.
In New York büxte der junge Walter mit seinem Kollegen aus, doch sie wurden von der Polizei geschnappt. Kurzerhand wurde die beiden wieder auf ein deutsches Schiff gesetzt, da war erstmal Schluss mit den kleinen Abenteuer.
Der Vater zu Hause war kein Feingeist, er war grob und kräftig. Er arbeitete bis ins hohe Alter. Er pflegte seinen Schrebergarten und hielt das Häuschen in guter Ordnung. Wenn die kleine sich unter dem kalten Wasserhahn morgen wuschen, gab ein wenig Anerkennung von dem Ollen.
Im Hause von der Familie Behrens sagte man: Rudolf hätte Hände, so groß wie Schaufeln. Jedoch flogen diese Hände auch mal an die Wange der Mädchen, so dass die Ohrringe flogen und in tausend Stücke zerbrachen. „Ein grober Klotz verteilt grobe Maulschellen!“ sagte Anni, aber verschwand in ihrer Kammer, die sie mit ihrer Schwester Olga teilte. Walter, der erstgeborene Sohn war der Unantastbare. Anni, die Mittlere im Strom von Walter mitgezogen und zuletzt der kleine Liebling der Mutter, die Olga.
Auch die Schule hatte zu der Zeit ihre perversen Lehrer. Anni wurde noch in den letzten Schuljahren von einem Lehrer aus der Bank (einem kombinierten Tisch mit Schulbank) herausgerissen. Dabei geriet sie ins Stolpern und fiel auf den harten Boden. Der Lehrer trat ihr mit den Füßen bis sich sich aufgerappelt hatte. Die ließ sich die Mutter nicht gefallen und ging am nächsten Tag mit Ihrer Tochter in der Schule. Sie stauchte den Lehrer zusammen: „Sie wollen ein Lehrer sein? Sie sind pervers! Sie sind ein fieses Ekel! Ich nehme meine Deern aus der Schule!“ Anni ging am darauffolgenden Tag in Stellung (Haushälterin).
Im Jahre 1918 als der erste Weltkrieg sein Ende fand gab fast nichts zu essen. Die Menschen waren rank und schlank. Es war Hungergestalten und sie hatten immer Hunger. Es war die Rübenzeit! Rüben in allen Variationen, Zuckerrüben, Runkelrüben, Steckrüben, Mohrrüben, Wurzeln aus der Erde wurden in unterschiedlichster Weise vorbereitet. Selbst Kuchen wurde aus Kuchen gebacken und der ist bis heute noch in der Familie beliebt.
Anni war also in Stellung in der ‚Langen Reihe’, dort wo das Geburtshaus von Hans Albers steht. Sie arbeitete in einem Haus wo zwei Lehrerinnen wohnten. Viel Arbeit musste gemacht werden von putzen bis Dienstmädchen. Einmal in ihrem Hungerwahn aß sie den ganzen Rest Brot auf. Es müssen 8 Schnitten gewesen sein. Anni bestrich sie ausreichend mit Margarine und Honig. Der Honig glänzte im Sonnenlicht wie Gold. Doch dann war Teufel war los. Die zwei Hexen tanzten Anni auf dem Buckel herum.
Die junge Anni verließ die beiden alten Damen und begann eine Lehre als Schuhverkäuferin. Der neue Chef griff ihr an die Büx (Unterhose) und diese Arbeit hatte ein schnelles Ende. Danach arbeitete sie bei der Genossenschaft, harte Arbeit für einen kleinen Hungerlohn.
Neue Firmen etablierten sich überall in Hamburg. Zwei Hamburger Kaufmänner schufen Schacht & Westerich. Ein Papier- und Kartonagenfabrik in Hamburg an der Großen Bäckerstraße. Anni druckte und stanzte Zahlen auf einen Vordruck, eine Arbeit an der Maschine.
Zum Spass schmissen die jungen Gesellen auch mal mit dem Papier. Ein Flieger blieb oben an der Decke kleben und man bettelte: „Bitte, bitte komm doch wieder runter!“ Doch der Fliege steckte genau über der Tür vom Chef und alle fingen an zu kichern und lachen. Worauf die Tür auf ging: „Was ist dann hier los?“ Das Lachen verschollen. „Alles Paletti!“ sagten die junen Leute mit gesenkten Kopf im Chor.